nonverbale Kommunikation und soziale Interaktion

nonverbale Kommunikation und soziale Interaktion
nonverbale Kommunikation und soziale Interaktion
 
Sprachbegleitende Kommunikation
 
Die gesprochene Sprache begleiten wichtige Signale, vor allem der akustischen aber auch der visuellen nonverbalen Kommunikation. Solche nonverbalen Zeichen können unabhängig von der gesprochenen Sprache auftreten (zum Beispiel als Seufzer), mit gesprochener Sprache zusammenhängen (Betonung, Pausen oder dichterische Stilmittel wie Rhythmus und Reim) oder unabhängig von der Wortsprache in den Sprachverlauf eingebunden sein (Äußerungen wie »äh« oder »mhm«). Die nonverbalen Komponenten einer Rede einzustudieren, war in der Antike fester Bestandteil der Rhetorik. Diese sprachbegleitenden Zeichen können Information weitgehend unabhängig vom Inhalt der gesprochenen Sprache vermitteln. Sie können die Bedeutung des gesprochenen Wortes verstärken oder abschwächen (Modifikation), in der Rede eine vom Wortsinn unterschiedliche oder sogar gegenteilige Bedeutung erzeugen (Expression), das gesprochene Wort ersetzen (Substitution, zum Beispiel durch Lautmalerei) oder eine Bedeutung durch ein Bild vermitteln (Emblem; etwa durch Anzeigen einer Richtung oder Umschreibung einer Form mit den Händen). Der nonverbale Kanal kann zeitlich vor dem Sprechen senden (Kopfnicken), die Sprache begleiten (Gestik, Mimik) oder fest mit der Sprache verbunden sein (Intonation).
 
Den nonverbalen Äußerungen kommt fast immer ein größeres Gewicht zu als der Wortsprache, was vor allem bei Kanaldiskrepanzen deutlich wird, wenn also der Wortsinn und die nonverbale Mitteilung entgegenlaufen. Man stelle sich etwa ein lachend gesprochenes »Jetzt aber raus!« vor. Die Vorherrschaft der nichtsprachlichen Signale steht keineswegs im Widerspruch dazu, dass Wortsprache für uns Menschen das wichtigste Mittel darstellt, Information »objektiv« auszutauschen. Wortsprache kann Inhalte übermitteln, die eine allgemeine, vom Sender losgelöste Bedeutung haben. Diese Art des Informationsaustausches ist zwar für uns Menschen typisch — kein anderes Lebewesen verfügt über eine vergleichbare Fähigkeit — doch spielt sie in unserem täglichen Umgang miteinander nur eine geringe Rolle. Die Mehrheit der Interaktionen mit anderen Menschen spielt sich für uns im persönlichen Bereich ab, etwa in einer Unterhaltung mit der Familie oder den Kollegen. Informationsvermittlung ist hier stets gepaart mit Signalen der zwischenmenschlichen Beziehung.
 
Nicht sprachliche Kommunikationsformen sind stammesgeschichtlich älter als die Sprache und sprechen ältere Teile des Gehirns an. Daher wirken nicht sprachliche Signale weniger auf den Verstand als unbewusst auf die Gefühle. So können wir unseren Gesprächspartnern neben der Sprache auf einem zweiten, dem nonverbalen Kanal Informationen über unser Befinden, unsere Erwartungen und Bedürfnisse senden. Die Fähigkeit, über sprachbegleitende Äußerungen Auskunft über den Gefühlszustand des Sprechers zu erhalten ist angeboren und funktioniert über die Kulturen hinweg. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Menschen, die im Gespräch nonverbal sehr aktiv sind, als attraktiver gelten.
 
Eine weitere Aufgabe nonverbaler Zeichen ist es, ein Gespräch zu strukturieren. Eine Form, einen Redner um Aufmerksamkeit zu bitten, ist, den Finger oder Arm zu heben. Im zwanglosen Gespräch wird man eine derartige Geste jedoch eher selten finden. Dagegen bedienen wir uns einer Technik des »so tun, als ob wir den Sprecher unterbrechen wollten«: mehr oder weniger geräuschvoll wird Luft eingeatmet, und der ganze Körper beginnt, Unruhe auszustrahlen. Oft leitet auch zustimmendes Nicken und ein bejahendes »mhm« einen Sprecherwechsel ein.
 
 Der Dialog der Geschlechter
 
Ein besonderer Aspekt der nicht sprachlichen Verständigung hat in den letzten Jahren in bisher nicht gekanntem Maße die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen auf sich gezogen, was zu einer großen Zahl auch populärer Veröffentlichungen führte. Es ist die Art und Weise, in welcher Männer und Frauen Signale austauschen, der »Flirt«.
 
Das Flirten ist für die meisten Menschen eine besonders erregende Form der Kommunikation. Die Entstehung einer erotischen Beziehung macht einen Großteil aller Filme spannend und erzeugt mit den Folgen, die sich daraus ergeben, viele tragische Konflikte in der Literatur. Alle Ebenen des kommunikativen Verhaltens kommen hier zum Einsatz: Von der elementaren Körpersprache und Mimik über das Gespräch mit allen sprachbegleitenden Nuancen des Verhaltens bis hin zur Wirkung des Körpergeruchs, künstlicher Duftstoffe, zu Kleidung, Frisur, Make-up und persönlichem Stil.
 
Der Kommunikationsprozess, der das Entstehen einer erotischen Beziehung begleitet und ermöglich, filtert Schritt für Schritt immer feinere Details über den (zukünftigen) Partner heraus. In der ersten Stufe werden äußere Reize bewertet. Man wird auf den anderen aufmerksam und nimmt von ihm bestimmte äußere Reize wahr. Gefällt er oder sie, kann ein erster Kontakt angebahnt, ein Gespräch begonnen werden. Diese erste Hürde zu überwinden, gelingt relativ selten. Die meisten Menschen, die wir zufällig sehen — ob in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Restaurants — sprechen wir nicht an, selbst wenn sie uns ausnehmend gut gefallen. Zu groß ist die Unsicherheit, was sich hinter dem Aussehen verbergen mag, die Furcht eine Taktlosigkeit zu begehen oder als aufdringlich zu gelten und vieles mehr. Vor allem unsere Furcht, eine negative Antwort zu bekommen und damit unser Gesicht zu verlieren, hindert uns daran, solche direkten Strategien der §Annäherung zu wählen.
 
Die zweite Stufe, die direkte Kommunikation, beginnt mit dem ersten Gespräch. Im Mittelpunkt steht nun, zu ergründen, wen man da eigentlich kennen lernt: Wie sympathisch sind uns die Ansichten und die Lebensweise, die der Gesprächspartner offenbart, wie angenehm empfinden wir sein Verhalten, seine Art zu sprechen und sich zu bewegen. Nachdem sich so ein Bild geformt hat, das noch wesentlich davon geprägt ist, welche Rolle unser Gegenüber uns vorspielt, muss sich in einer dritten Stufe der Kontaktvertiefung nun zeigen, wie zuverlässig die geweckten Erwartungen erfüllt werden.
 
Die wichtigste Rolle bei der Kontaktanbahnung, aber auch im ersten Gespräch, spielen Blickwechsel. Als Aufforderung zum ersten Kontakt dienen »Dartingblicke« (Dart, englisch Wurfpfeil). Diese Blicke, die kurz aber zielgerichtet mehrmals an eine bestimmte Stelle wandern, zeigen das geweckte Interesse an der gegenübersitzenden Person an. Erst bei Paaren, die bereits eine tiefere Beziehung aufgebaut haben, dauern Blicke häufig länger als drei Sekunden. Ein zu langer Blick kann dagegen besonders Fremden gegenüber eine deutlich negative Wirkung haben. Ebenso erzeugen längere Blicke in einem unangenehmen Gesprächsrahmen Unbehagen, während sie in einer angenehmen Umgebung positive Gefühle fördern.
 
Blicke können nicht nur aktiv als Signal gesetzt werden. Auch die Verweigerung des Blickkontaktes besitzt Signalcharakter und kann einerseits Antipathie und Desinteresse, andererseits auch Scham, Unterlegenheit oder Schuldgefühle ausdrücken. Eine Studie konnte zeigen, dass die Fähigkeit bei Männern, vor allem Blicke aber auch andere Signalverhaltensweisen erfolgreich zu interpretieren und selbst einzusetzen, wesentlich mit der eigenen Selbstsicherheit und Selbstwahrnehmung zusammenhängt. Ebenso wie der Blick spielt natürlich auch das Lächeln eine wichtige Rolle als Signal der Aufforderung und positiven Rückmeldung.
 
Im zwischengeschlechtlichen Gespräch besteht ein deutlicher Verhaltensunterschied bei Männern und Frauen. Männer neigen dazu, häufiger Signale der Überlegenheit und Stärke zu senden, Frauen versuchen dagegen, unter anderem Beschützerinstinkte beim Mann zu wecken. Während der Mann sich streckt, »Muskeln zeigt«, die Beine eher breit stellt, deutlich mehr spricht und sich deutlich weniger bewegt als die Frau, finden wir im weiblichen Verhalten in Flirtsituationen zahlreiche eher unterwürfige Gesten und Gebärden. Am besten untersucht sind Verhaltensweisen, mit denen die Frau bei ihrem Gesprächspartner direkt auf angeborenes Erkennen zielt: das »Kindchenschema«. Große Augen und lange Wimpern werden durch Kosmetik betont. Andere kindliche Verhaltensweisen wie der Schmollmund oder das Verlegenheitslächeln, bei dem der Blick vom Gegenüber früher abgewendet wird als beim normalen Lächeln, finden sich besonders im weiblichen Flirtverhalten. Weitere Signale der Unterlegenheit können etwa im Nackenpräsentieren durch Schieflegen des Kopfes, was vermutlich aus einer symbolischen Darbietung der Halsschlagader entstanden ist, oder in dem verlegenen Wegzupfen nicht vorhandenen Staubes und dem Ordnen der Kleidung gesehen werden. All diese Signale kommen beim zwischengeschlechtlichen Kontakt signifikant häufiger im Verhalten der Frau als in dem des Mannes vor.
 
Ähnlich sieht es bei Signalen mit sexueller Komponente aus. Männer demonstrieren Sexualität meist nur durch die Kleidung. In unserer Kultur werden durch den Schnitt der Jacken beispielsweise die Schultern überbetont. In manchen Kulturen wird etwa durch eine aufgesteckte Hülse (Kalebasse) der Penis hervorgehoben und scheint stets erigiert. Frauen in Industriegesellschaften senden dagegen mehr augenfällige sexuelle Signale aus als Männer, wobei die erogenen Zonen teilweise betont werden. So finden sich Verhaltensweisen, die auf die Lippen aufmerksam machen, wie der Schmollmund oder ein kurzes Anlecken der leicht geöffneten Lippen. Auch durch Lippenstift wird der Kontrast zum übrigen Gesicht verstärkt. Wenn Frauen männliches Interesse erregen wollen, zeigen sie mit erhobenem Kopf, die Hüften schwingend, den Bauch eingezogen, die Brüste nach vorn geschoben eine bestimmte Art zu gehen. Monica Moore, die über ihre Beobachtungen zu wichtigen Erkenntnissen über weibliches Verhalten gelangen konnte, bezeichnete diesen weiblichen »Signalgang« als »paradieren«. Tragen Frauen einen BH, unterstreicht das ebenfalls die weibliche Brust.
 
Über Manipulation und Lüge als Problem der Kommunikation wurde bereits berichtet. Gerade in der Kontaktanbahnung und der Vorbereitung und Vertiefung einer Beziehung findet sich oft eine regelrechte Gratwanderung zwischen »sich für den anderen interessant machen« und »ertappt werden«. Viele der oben beschriebenen Verhaltensweisen haben bereits manipulativen Charakter. Der Mann spielt eine Stärke vor, die er vielleicht gar nicht besitzt. Die Frau zeigt im Flirt Signale der Unterwürfigkeit und sexuellen Bereitschaft, obwohl sie vielleicht mit ihrem Gesprächspartner keinerlei sexuellen Kontakt wünscht oder eher selbstsicher als devot ist. Gerade das Missverhältnis zwischen dem, was Frauen ihrem Verhalten beimessen, und dem, was Männer darin als Signal interpretieren, birgt ein großes Gefahrenpotenzial.
 
Das belegt auch eine Untersuchung, bei der unter einem Vorwand Gespräche zwischen sich fremden Frauen und Männern in die Wege geleitet wurden. Viele Männer nahmen in der Gesprächssituation nicht wahr, wenn die Frau — für Außenstehende offensichtlich — Desinteresse oder sogar Ablehnung zeigte, sofern sie zu Beginn des Gesprächs freundlich gewesen war. Bereits innerhalb der ersten halben Minute des ersten Gesprächskontaktes zwischen Mann und Frau wird über den Gesprächspartner so viel Information gesammelt, dass das gefällte Urteil nur selten korrigiert und die Interpretation zukünftigen Verhaltens wesentlich beeinflusst wird.
 
 
Neben den Signalen, die Menschen direkt von ihrem Körper aussenden, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass menschliches Verhalten in bestimmter Weise in Raum und Zeit geschieht. Diese räumliche und dynamische Komponente der Kommunikation betrachtet die Proxemik (lateinisch proximitas, Nähe), ein 1966 durch den amerikanischen Anthropologen Edward Hall begründetes Forschungsgebiet, das die Art und Weise untersucht, wie wir unseren Körper im Verhältnis zur Position der Körper anderer Menschen stellen und bewegen und dadurch etwas kommunizieren.
 
Nach den Erkenntnissen von Hall ordnet ein Mensch anderen Menschen Positionen wie auf Zwiebelschalen zu, sozusagen mit verschiedenen Niveaus der körperlichen Distanz, die unterschiedlich intime Formen der Kommunikation (bis hin zum Körperkontakt) zulassen. Beispielsweise schließen Menschen, die in einer größeren Gruppe beieinander stehen und sich unterhalten, ihren Kreis enger, wenn sich eine weitere Person nähert; ein offensichtliches Zeichen, das Gespräch nicht zu stören. Ebenso lässt sich beobachten, dass für eine sich nähernde Person der Kreis geöffnet wird, selbst wenn diese keinen direkten Versuch unternommen haben sollte, sich an der Unterhaltung zu beteiligen.
 
Prof. Dr. Wulf Schiefenhövel und Jörg Blumtritt
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Zeichen in der Kommunikation
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Kommunikation: Eine Einführung
 
 
Tramitz, Christiane: ... auf den ersten Blick. Über die ersten 30 Sekunden einer Begegnung von Mann und Frau. Taschenbuchausgabe Düsseldorf u. a. 1992.

Universal-Lexikon. 2012.

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